Gedanken zum „Artgerecht“-Trend
- am Dezember 28, 2020
- von Brigitte Köster
- in Allgemein
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Eines vorweg … ich hasse schwarz-weiß Denken. In jeder Beziehung. Und deshalb jagen Sätze wie: „alle Pferde in Offenstallhaltung leben artgerecht“, oder „alle Pferde in Boxen sind arme Geschöpfe“ meinen Adrenalinspiegel nach oben.
Was genau bedeutet artgerecht in der heutigen Zeit? Ist es nicht auch so das wir immer nur versuchen können, den Pferden ein möglichst „artgerechtes Umfeld“ zu schaffen? Dazu gehört aber meines Erachtens nicht nur die eigentliche Haltung, sondern auch der Umgang.
Ich habe mir über dieses Thema tatsächlich sehr viele Gedanken gemacht und war lange hin- und hergerissen. Und irgendwie wollen die vielen Ausführungen im Netz über die allheilige Offenstallhaltung und die komplett unartgerechte Boxenhaltung nicht so Recht mit dem korrelieren, was ich jeden Tag in der Realität sehe.
Grundsätzlich finde ich es richtig und wichtig Aspekte der Haltung und des Umgangs (bzw. die Grundeinstellung) zu unseren Pferden ständig zu optimieren und zu verbessern. Das betrifft aber eben alle Faktoren. So erlebe ich immer wieder, das Pferde in eine Offenstallhaltung gesteckt werden und dort mehr oder weniger ihrem Schicksal überlassen werden. Nicht selten stehen da traurige Pferde, die augenscheinlich nicht mehr viel Lebenslust verspüren. Im Gegensatz dazu kenne ich viele Pferde, die in einer klassischen Boxenhaltung viel Weidegang bekommen, mit denen gearbeitet wird und die fröhlich in die Welt schauen. Natürlich gibt es diese Phänomene auch anders herum.
Weiterhin hängt es meines Erachtens viel mit dem „Verwendungszweck“ zusammen. Ich habe noch keine Studie gefunden, die belegt, das Offenstallkonzepten für Sportpferde funktionieren. Ich hatte da große Hoffnungen bei den „Aktiv-Ställen“, aber auch da habe ich persönlich die Erfahrung gemacht das es sehr schwierig ist. Immer wieder erlebe ich Pferde, die ausgelaugt sind, weil sie nicht, oder nur unter hohem Stressaufwand ans Futter kommen. Zudem halte ich hier die gesundheitliche Belastung durch E-Smog etc. durch die dauernde Überwachung mittels Transponder, bzw. der dazu installierten Geräte ebenfalls für nicht ganz unerheblich und keineswegs natürlich.
Vielleicht sollten auch hier das entweder / oder Denken abgeschaffen und sollten einen individuellen Blick auf die einzelnen Pferde werfen, denn darum geht es doch letztlich. Ich bin felsenfest davon überzeugt, das weder die eine, noch die andere Haltungsform für jedes Pferd geeignet ist.
Viel mehr Bauchschmerzen bereitet mir der Trend, das die Pferde unter dem Deckmantel der Fürsorge und Tierliebe sehr leiden und häufig krank werden. Die sogenannten Zivilisationskrankheiten wie Equines Cushing, Metabolisches Syndrom etc. nehmen weiterhin zu. Das alles sind Erkrankungen, die in den meisten Fällen zur Ursache haben, das das Verhältnis von benötigter Energie und zugeführter Energie nicht passt. Heisst im Klartext die Pferde wurden krank gefüttert, weil sie letztendlich zu wenig gearbeitet werden und in Relation dazu zuviel Futter bekommen haben. In den seltensten Fällen passiert das über das Futter welches in den Ställen zur Verfügung gestellt wird, sondern über das, was zusätzlich noch gegen und für alles mögliche gefüttert wird. Auf der anderen Seite wird die Arbeit (egal ob reiten, Bodenarbeit oder ähnliches) sehr eingeschränkt. Ein sehr fataler Trend, weil das alles Erkrankungen sind, die mit sehr schmerzhaften Symptomen für die Tiere einher gehen.
Interessanterweise findet man diese Erkrankungen bei den Sportpferden (vor allem auf höherem Niveau) so gut wie garnicht.
Ein weiteres Beispiel: Jedes Jahr kursieren in den sozialen Medien empörte Threads über die „Kirmesponys“. Die Empörung der Pferdeliebhaber ist riesengroß. Es gibt aber Untersuchungen an diesen Ponys, die belegen, das diese signifikant seltener unter metabolischen Störungen leiden. Sicher kann man darüber diskutieren, ob das ständige im Kreis laufen psychische Traumen verursacht … aber mal ehrlich, die machen das nicht jeden Tag und keine 8 Stunden hintereinander. Und es ist auch nicht so (wie schon öfter gelesen) das den ganzen Tag irgendwelche übergewichtigen Kinder in den Rücken der Ponys plumpsen.
Seit ein paar Wochen unterstütze ich die Organisation Equiwent. Diese sind vor allem in Osteuropa tätig, wo die Pferde der z.T. wirklich sehr armen Landbevölkerung als Arbeitspferde dienen. Diese Menschen haben sowenig, das sie nicht einmal sich selber mit dem Nötigsten versorgen können. Equiwent kümmert sich in erster Linie um die Pferde, damit diese notwendige Behandlungen bekommen können und leistet Aufklärungsarbeit bei den Menschen. DAS ist für mich Tierschutz, denn wenn man den Menschen die Tiere wegnehmen würde, wäre ihnen die Lebensgrundlage entrissen.
Mein Fazit bei den Überlegungen ist, das eine individuelle Betrachtungsweise von Nöten ist. Wir sollten zum Wohle der Pferde mehr Toleranz und Miteinander walten lassen. Das gilt sowohl für die Haltung als auch für die Reitweisen. Missstände sollten aufgedeckt werden auf beiden Seiten. Jeder Besitzer sollte sich mit allen Bedürfnissen seines Pferdes auseinandersetzen und sein Pferd ein Pferd sein lassen und es nicht zum Kuscheltier mutieren zu lassen.
Ute Meyer Pferdeflüsterei
Ein sehr gut erfasster Erfahrungsbericht, der sich auf vielen Ebenen mit meinen Erfahrungen angleicht, es sollte immer das einzelne Pferd betrachtet werden und dort geschaut werden, wie wohl es sich fühlt. Ich habe trauernde Offenstallpferde erlebt, weil sie keine Aufgabe mehr hatten, und ich habe auch Turnierpferde erlebt, die sich in ihrer Box wohl und gut aufgehoben gefühlt haben. Ich denke, wir stehen noch am Anfang mit der Diskussion um die richtige Haltungsform, und ich glaube auch, dass es sehr viel wichtigere Dinge gibt im Umgang mit den Pferden, z.B. das Erkennen der Bedürfnisse, der Gefühle der Tiere. Hier gibt es viel zu tun.
Brigitte Köster
Danke Ute für die Antwort … leider gerade erst gelesen, da ich bei paar Tage bei Freunden war. Ja, ich finde auch das diese Diskussion geführt werden muss. Vor allem in der Öffentlichkeit.
Ich hoffe du bist gut ins Neue Jahr gekommen und sende liebe Grüße
Sabine Hildebrandt
Super geschrieben Brigitte ich ganz deiner Meinung. Ich empfinde gerade im Pferdebereich die Bereitschaft der Menschen sich auszutauschen und sich zuzuhören als schwierig. Es gibt irgendwie nur schwarz oder weiß.
Oder sowas wie: das haben wir schon immer so gemacht….
Brigitte Köster
Danke Sabine … ich denke man muss etwas dagegen tun … leider weiss ich noch nicht so recht wie
Ich hoffe du bist gut ins Neue Jahr gekommen und schicke liebe Grüße